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Kranksein - mein Schönstes als Kind

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Wenn ich ausreichend krank war, um zuhause bleiben zu dürfen, aber nicht so krank, dass ich gelitten habe. Das war mein Kinderparadies: Keine Schule, mich gemütlich einkuscheln, fast unbegrenzt lesen dürfen und als Krönung mit Zuwendung und feinen Krankenspeisen versorgt werden. Das war immer ein kleines Glas (Orangen waren teuer!) frisch gepresster Saft wegen der Vitamine, ein Grießbrei, weil der besser rutscht, manchmal auch Eis, weil das den Hals kühlt und eine selbstgemachte Fleischbrühe mit Nudeln, weil das kranke Kind Kraft braucht. Der Eingang ins Paradies war eine gründliche Prüfung durch zwei kritische Instanzen. Zuerst befragte mich meine Mutter. Ausgestattet mit einem bewährten Grundvorrat an Misstrauen, wollte sie ausschließen, dass keine anderen Gründe für die Beschwerden vorlagen wie Müdigkeit oder gar Schulunlust. Mit diesem vorläufigen Ergebnis wurde die zweite Instanz hinzugeholt. Ihr oblag das letzte Wort über die Frage, ob das Kind zuhause bleiben und gepflegt werden...

Wie geht Verzeihen? Teil 4: Meine Feindin steht noch auf der Liste

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Mehr zu arbeiten, half nicht. Noch mehr zu arbeiten, half nicht. Mir Arbeiten aufdrücken zu lassen, half nicht. Nett zu sein, half nicht. Die von allen gehassten Aufgaben freiwillig zu übernehmen, half nicht. Als Letzte zu gehen, half nicht. Kuchen mitzubringen, half nicht. Sitzungsthemen gründlich vorzubereiten, half nicht. Teure Schokolade mitzubringen, half nicht. Noch netter zu sein, half nicht. Das Team zu mir nach Hause einzuladen, half nicht. Jedem die Sitzungsunterlagen auszudrucken und hinzulegen, half nicht. Selbstgebackenen Kuchen mitzubringen, half nicht. Klein beizugeben, half nicht. Schleimen half nicht. Nicht aufzumucken, half nicht. Die Revolte zu wagen, half nicht, hatte aber zur Folge, dass ich von nun an mit offener Feindseligkeit behandelt wurde, bis ich geschlagen und gedemütigt das Feld räumte. Diese hübsche Liste der Verzweiflung zählt Strategien auf, die ich über Jahre anwandte, mit den Zielen, anerkanntes und geschätztes Mitglied in meinem Kollegenkreis zu werd...

Vorher - Nachher - ein Tag heute und ein Tag bevor ich aufhörte, zu trinken

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  Vorher- Nachher-Vergleiche in Zeitschriften habe ich geliebt: Eine Frau im Alltagslook wurde neu eingekleidet, frisiert und perfekt geschminkt. Immer war das Ergebnis eine große Verbesserung und die Glückliche strahlte unglaublich gut aussehend in die Kamera.  Das einfache Prinzip, aus Vorher-Nachher-Vergleichen Aufmerksamkeit und Motivation zu ziehen, funktioniert auch bei mir: Ich vergleiche einen x-beliebigen Tag aus meiner Trinkzeit mit einem x-beliebigen Tag heute und schaue genau hin, was sich verändert hat. Das gibt mir Kraft und Hoffnung, auch wenn der Blick auf meine Trinkerzeit zunächst wehtut. Ein Sonntag vor drei Jahren: Ich will zeitig aufstehen, um den freien Tag für etwas Schönes zu nutzen, aber ich bin nicht hochgekommen. Ich habe Kopfschmerzen und einen schlimmen Kater. Samstags trinke ich mehr, weil ja Wochenende ist und ich den freien Sonntag vor mir habe. Ich bin nicht nur müde, sondern erschöpft, depressiv, voller Scham und Schuld, wieder viel zu viel ge...

Zugehört – jeder Mensch sollte eine Hedwig in seinem Leben haben

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Meiner Freundin Hedwig höre ich einmal in der Woche am Telefon zu und sie mir. Neben dem Austausch von Neuigkeiten in unseren Familien, geht es vor allem um unsere Genesungsfortschritte. Wir sind Reisegefährtinnen und begleiten die Heilungsreise der anderen mit Zuhören, Nachfragen, Anteil nehmen und Dankbarkeitslisten teilen. Wir können zusammen lachen und auch mal traurig sein. Wir sind füreinander da, und sie steht auf meiner kurzen Liste von Menschen, die ich mitten in der Nacht anrufen würde, wenn ich Angst habe oder es mir schlecht geht. Ihr kann ich selbst meine peinlichen Gefühle zeigen, und sie ist gut darin, meine verknoteten Gedanken ordentlich aufzudröseln. Wir kennen uns aus der Selbsthilfegruppe und sind beide dankbar und glücklich über unser Leben ohne Alkohol. Beide beschäftigen wir uns mit Spiritualität. Wir versuchen, unsere täglichen Routinen lebendig zu erhalten. Wir denken nach und wir versuchen die 12 Schritte des Programms in unserem täglichen Leben anzuwenden. Da...