Feiern im Kloster - Begegnung mit einer unerwarteten Rückfallgefahr

Auch im christlichen Kloster wird Alkohol zum Feiern benutzt. Keine Überraschung, solange er als Teil des christlichen Abendmahls zum Gottesdienst gehört. Darum geht es hier nicht. Der Wein, von dem ich spreche, wurde großzügig angeboten und gerne auch nachgeschenkt. Der Wein, von dem ich spreche, war Teil eines Abendessens für die Gäste. Denn der Sonntag in dieser christlichen Kommunität wurde am Samstagabend mit einem Festmahl und Weinbegleitung eingeläutet. Traubensaft gab es auch, aber nur, wenn man sich vor der 40köpfigen Gruppe ausdrücklich dazu bekannte, diesen dem Rotwein vorzuziehen. Darauf war ich als Gast nicht vorbereitet und geriet in einen Hinterhalt.

So habe ich es vor kurzem erlebt, als ich zu einem Stillen Wochenende in einem christlichen Kloster war. Mir ist nichts passiert, ich konnte angemessen mit der Situation umgehen und mich als Saftabnehmerin zu erkennen geben. Unmittelbar vor dem Ausschenken fielen die Worte: „Und wer keinen Wein möchte, muss sich nun outen, damit wir wissen, wer Traubensaft bekommt“. Der Begriff „outen“ meint ja nichts anderes, als sich zu einer Tatsache zu bekennen, die peinlich und gegen die Norm ist.

Angenehm fand ich es nicht, in einem Raum zu sein, der von intensivem Alkoholgeruch durchzogen war, und mein Essen wollte mir nicht schmecken. Der rote Traubensaft wurde im gleichen Weinglas serviert und war vom roten Wein optisch nicht zu unterscheiden. Ich nahm einen Probeschluck. Es war der Saft, dennoch ließ ich den Rest stehen. Unaufgefordert wurde das Glas vollgeschenkt. 

Dankbar und souverän lebe ich heute ohne Alkohol und bin in dieser wirklich hinterhältigen Lage gelassen aber vor allem nüchtern geblieben. Doch machen wir uns nichts vor: Das Stück hatte zwei mächtige Fallstricke, den Moment der Überrumpelung und den enormen Gruppendruck. Wir waren eine große Gästegruppe, wir kannten uns nicht und seit zwei Tagen schwiegen wir. Bei den Mahlzeiten waren wir ebenfalls still. Nichts entging den Blicken am Tisch, nicht, wenn noch Essen auf den Tellern war, die wir selbst wegstellten und schon gar nicht ein volles Glas.

Es hat auch eine Situationskomik, denn ich war nicht zu einer Hochzeit gefahren, aufs Oktoberfest oder zur Betriebsweihnachtsfeier. Nein, ich war in einem Kloster, das ich aufsuchte, um ein paar Tage im Schweigen zur Ruhe zu kommen und meine Beziehung zu Gott zu vertiefen, so wie es im 11. Schritt der AA empfohlen wird. 

Und ausgerechnet dort lauerte der Alkohol. Nicht nur bei der Sonntagsfeier, sondern auch in einer kleinen Sitzecke mit gemütlichen Sofas und einer Kaffeemaschine zur Selbstbedienung: im großen Getränkekühlschrank waren auch Wein und Bier eingefüllt. Alkohol in der Kaffee-Ecke finde ich unnötig und ärgerlich, aber ich kann auf den Kaffee verzichten und meinen Sicherheitsabstand wählen, wie ich ihn brauche. Ist es den Besuchern und Besucherinnen des christlichen Hauses nicht zuzumuten, dreieinhalb Tage ohne Alkoholversorgung auszukommen? Jedem sein Recht auf Rausch, selbst im Kloster?

Weinsymbolik im Abendmahl, damit habe ich gerechnet. Zu Beginn des Gottesdienstes wurde kurz darauf hingewiesen, dass neben dem Wein ein Kelch mit Saft steht. Die Gläubigen konnten ihre Oblaten diskret entweder hier oder dort eintauchen. Wer kein Abendmahl feiern wollte, konnte einfach sitzenbleiben und es war gut.

Den Hinterhalt gibt es, weil in unserer Kultur tief verankert ist, Feiern ohne Alkohol sei kein Feiern. Weil wir Wein und Bier für Kulturgüter halten und nicht als Träger eines Nervengifts sehen, das in seiner Gefährlichkeit selbst Heroin übertrifft. Weil es für uns als gute Gastgeber dazu gehört, Alkohol bereit zu stellen und leicht zugänglich zu machen.

Der Hinterhalt besteht in dem Stigma, das die Alkoholkrankheit noch immer beherrscht. Kein Problem, eine schwere Krankheit einzugestehen, bei Krebs kann man mit einer Menge Mitgefühl rechnen. Immer weniger ein Problem, eine Depression zuzugeben. Aber zu sagen, dass man ein Alkoholproblem hat oder sogar abhängig ist, das schaffen manche von uns nicht mal in der Gruppentherapie in der Suchtklinik. Niemand will Alkoholikerin sein und selbst wenn wir schon jahrelang nüchtern leben und gesund sind, schämen wir uns immer noch. Keiner klopft uns auf die Schulter und beglückwünscht uns zu der enormen Leistung, eine Sucht zum Stillstand gebracht zu haben, so wie beim Rauchenaufgeben oder fragt nach Tipps, wie wir das geschafft haben.

Der Hinterhalt wohnt in der Überraschung: Getrunken wurde im Kloster, es war nicht in der Kneipe. Im Kloster leben Menschen, die viel nachdenken, sich mit Gott verbinden und vermutlich achtsam leben. Sie laden Gäste ein, das auch zu tun und bieten dafür Veranstaltungen an. Für mich ist das Kloster ein besonderer Ort, dass es auch ein geschützter sein sollte, betrachte ich inzwischen als falsche Erwartung. 

Wein ohne Ankündigung in einer unerwarteten Situation, das ist gefährlich für suchtkranke oder frisch nüchterne Menschen. Neinsagen unter Gruppendruck ist eine harte Anforderung und erhöht die Rückfallgefahr noch viel mehr.

Meine Vorstellung von Achtsamkeit umfasst das Denken an den Ausgleich der Bedürfnisse: Die Trinkenden machen Gebrauch vom Alkoholangebot. Die Nichttrinkenden tun es nicht, es wird ihnen möglichst einfach gemacht und niemand muss sich rechtfertigen. Bei der Sonntagsfeier könnte der Traubensaft auf den Tischen stehen und wer Wein möchte, könnte sich ein Glas holen. 

Mir hat diese Erfahrung vor Augen geführt, dass Alkoholangebote an unerwarteten Orten zu unerwarteten Gelegenheiten auftauchen können und es gut ist, wenn ich immer wieder übe, Nein zu sagen und für mich einzustehen. Nicht alle Gefahren lassen sich vorhersehen, ich muss auch in der Situation schnell und sicher reagieren können. Dieses Mal ist alles gutgegangen, aber die Sucht hat mir ihre Instrumente gezeigt.

Ich danke Dir fürs Lesen und freue mich, wenn Du wiederkommst.

Alles Liebe und Gute

Juna 
 

PS: Dem Kloster habe ich einen Brief mit meinen Eindrücken geschrieben, ich hoffe, er kann dazu beitragen, diese Gefahrensituation zu entschärfen und vielleicht eine Saat legen, damit ein Nachdenken aufkeimt, über Sucht, betroffene Gäste und die Rolle dieses Klosters beim Umgang mit Alkohol.

 


 



 

 

Kommentare

  1. Liebe Juna,
    wie schön, dass Du wieder etwas geschrieben hast. Ich habe es vermisst, dass ich mit Dir über Deine Gedanken und Worte nachdenken konnte.
    Dem Gruppendruck zu widerstehen ist eine der schwierigsten Situationen: Wie oft werde ich angesprochen, ob ich, wenn ich schon kein Wein oder Schnaps trinken wolle, nicht doch wenigstens ein Bier haben möchte. Nein, das will ich nicht. Das zu sagen fällt mir immer leichter und viele Menschen in meinem beruflichen Umfeld wissen das inzwischen und respektieren es. Aber der Weg bis zu diesem Punkt war kein leichter und hat mir viele stirnrunzelnde Blicke gebracht.
    Aber Deine erlebte Situation hatte ja noch eine Steigerung parat: Du solltest Dich vor versammelter Mannschaft "outen". Schon das Wort ist Gift, wie Du es auch geschrieben hast. Respekt für Dich und Deine Reaktion ... ich bin gespannt, ob Du Antwort aus dem Kloster erhalten wirst.
    Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Text.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

4 Jahre Nüchternheit und Genesung - und was kommt jetzt?

Wie geht Verzeihen? Teil 3: Meiner Mutter

Alkoholikerin - Unwort oder Starthilfe?

Sommerreise durch Südengland Teil 3 - der Ladies Lunch in Haywards Heath

Sommerreise durch Südengland Teil 2 - ein Buchladen und ein Frauenmeeting in Bath

Ein 9. Schritt: nach 15 Jahren Kontaktabbruch bekomme ich meinen Bruder zurück

Sommerreise durch Südengland Teil 1 - auf den Spuren von Bill W.

Von den Profis beten lernen - ein ungeplanter Kirchenbesuch

Aus der Werkzeugkiste - Der Liebesbrief