Aus der Werkzeugkiste - Der Achtsamkeitskalender
Für ein Tagebuch hätte meine Disziplin nicht ausgereicht, aber für einen Kalender schon. Also griff ich den Vorschlag meiner Therapeutin in der Suchtklinik auf und gestaltete mir aus einem gewöhnlichen Familienplaner einen Achtsamkeitskalender. Statt der Namen meiner Familienmitglieder, trug ich selbstgewählte Kategorien ein und musste ansonsten nur bunte Punkte kleben.
In den ersten Monaten zuhause half es mir sehr, meine Fortschritte nicht nur zu spüren, sondern sie auch sichtbar zu dokumentieren. Da der Kalender "öffentlich" in meinem Büro hing, konnte ihn meine Familie sehen. Besonders meine Tochter betrachtete ihn aufmerksam, zählte mal meine nüchternen Tage durch oder wies mich verschmitzt darauf hin, wenn ich das Punktekleben nicht pünktlich erledigt hatte. Definitiv war der Kalender ein Gesprächsanlass.
Im dritten Monat nach der Klinik hatte ich diese Kategorien:
Abstinenz gehalten: immer grün gepunktet
aktiv gewesen: rot für Faulheit, einmal gepunktet, gelb für Alltag wie Gassi gehen mit Baki oder kleine Besorgungen mit dem Rad, das machte ich täglich und dazwischen ein paar wenige grüne Punkte für richtig sporteln z. B. workouts mit meiner Tochter oder allereinfachste Yogaübungen
Entspannung: gelb für Autogenes Training vor dem Einschlafen fast täglich, rot für Faulheit und leider selten grün für echtes Meditieren
Glück empfunden: jeden Tag grün, weil es an jedem einzelnen Tag Glücksmomente gab
Schlaf: inzwischen viele grüne Punkte, er hatte sich sehr gebessert
am neuen Leben gebaut: gelb für viele Alltagsdinge, kein rot, ganz viel grün für meine Aktivitäten wie z. B. meine Therapiesitzungen, AA-Mails lesen, Anträge stellen, die Hundeschule mit Baki besuchen, meine Sachen von meinem alten Arbeitsplatz abholen.
Das war meine Lieblingskategorie, denn hier gab es die größten und schnellsten Veränderungen.
Die Kategorien habe ich angepasst, je nachdem was gerade wichtig war. In den ersten beiden Wochen zuhause waren es nur drei: Abstinenz, Schlaf und Glück. Ich dachte, wenn ich schlafen und Glücksmomente empfinden kann, bin ich weniger rückfallgefährdet. Ich hatte wirklich sehr große Angst in den ersten Monaten, die laut Statistik die risikoreichsten sind.
Ab der dritten Woche kam die Entspannung dazu und noch später das Bauen am neuen Leben.
Es war sehr motivierend, viel mehr grüne als rote Punkte zu sehen, die zeigten, wie sich mein neues Leben entwickelte. Schön war auch, dass ich später dazu übergegangen bin, in die Kategorie "Abstinenz gehalten", nur noch einen langen, durchgezogenen, grünen Strich einzuzeichnen.
Ehrlich gesagt, manches habe ich nicht auf die Dauer in meinem Leben umsetzen können: Yoga, Meditation und täglichen Sport. Wenn es darum geht, gleicht mein innerer Schweinehund einem Faultier in Vollnarkose.
Yoga will ich noch, Meditation habe ich noch nicht aufgegeben und als Sport lasse ich aus Nachsicht auch meine Physiotherapie und die täglichen Hunderunden gelten.
Den Kalender habe ich ein halbes Jahr nach der Klinikentlassung beendet, und wenn ich das so schreibe, vermisse ich ihn ein wenig. Aber es kamen neue Themen, Aufgaben und Werkzeuge in mein nüchternes Leben.
Trotzdem ist er diesen Blogeintrag wert, denn der Kalender ist eine leicht durchführbare und wirksame Unterstützung dabei, die Fortschritte, aber auch die Schwächen zu sehen. Er hilft, zu erkennen, was gerade los ist und man kann ihn anpassen durch die Wahl der Kategorien. Wer beim Kleben ehrlich ist, bekommt ein aktuelles, stimmiges Bild, das auf einen Blick die Lage zeigt. Sollten sich die gelben oder gar roten Punkte häufen, ist es leichter, rechtzeitig gegenzusteuern. Und bei grüner Welle lacht das nüchterne Herz!
Ich danke Dir fürs Lesen und freue mich, wenn Du wiederkommst.
Alles Liebe und Gute
Juna
PS: Die Reihe mit den Werkzeugen geht weiter, als nächstes kommt mein allergrößter Glücklichmacher: die Dankbarkeitsliste.
Sooo schön. Danke liebe Juna
AntwortenLöschenDanke, Juna.
AntwortenLöschenImmer wenn Du etwas beschreibst, dann klingt es so leicht und einfach. Damit werden die inneren Bedenken weggewischt und die Umsetzung wird handhabbar. Der Weg sonst ist schwer genug, sodass "leichte" Werkzeuge tolle Begleiter sind.
Und ich musste so lachen über das Faultier in Vollnarkose - das Bild nehme ich mit, wenn ich mal wieder mit meinen inneren Bdenkenträgern "rede".