Ein Fest des Lebens - ohne Alkohol

 

Bin ich eine gute Gastgeberin, auch wenn ich meinen Gästen Alkohol vorenthalte? Ist es autoritär, dass ich sie mehr oder weniger zwinge, bei einer großen Party auf Alkohol zu verzichten? Und ist es besser, es schon in der Einladung anzukündigen, damit sie sich darauf einstellen können? Diese Fragen habe ich mir gestellt, während ich ein Fest für viele Menschen plante.

Bei uns zuhause gibt es keinen Alkohol, und unsere engen Freundinnen und Freunde wissen das. Es gibt auch kein Fleisch, denn wir essen es nicht. Ich liebe es, zu kochen und Gäste zu empfangen. Noch nie hatte ich den Gedanken, ihnen einen Braten zuzubereiten, damit sie während eines Aufenthalts bei uns auf nichts verzichten müssen. Ebensowenig würde ich eine Auswahl Zigarren präsentieren, denn bei uns raucht niemand mehr. Würde ich das vorher sagen? Natürlich nicht. 

Doch beim Alkohol kam ich ins Grübeln, ob und wie ich es ankündige, dass es keinen Sekt, keinen Wein und nicht mal ein Bier geben wird, denn die meisten Gäste dieses speziellen Festes wissen nichts von meiner überwundenen Alkoholsucht. Es kommen neben engen Freunden und Familienmitgliedern auch Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen und gute Bekannte, die in den verschiedensten Zusammenhängen unsere Wege gekreuzt haben und die wir dabeihaben wollen.

In unserer Kultur ist das Trinken von Alkohol so kunstvoll in die guten Sitten eingeflochten, dass es für viele von uns zum Feiern dazugehört, sogar von großer Bedeutung ist, weil es Genuss und Entspannung aber auch das Besondere kennzeichnet. Es stellt eine krasse Abweichung von einer gesellschaftlichen Norm dar und widerspricht den Erwartungen vieler, wenn es bei einem Fest keine alkoholischen Getränke gibt.

Von mir selbst kenne ich es gut, dass falsche Erwartungen zu Enttäuschung und Ärger führen können. Auf dieser Erfahrung aufbauend, beschloss ich, dass meine Gäste vorher erfahren würden, dass dieses Fest eins ohne Alkohol sein wird. Zumindest würden wir keinen anbieten. Falls sich jemand einen Flachmann eingesteckt und heimlich genippt hat, könnte er an diesem Abend etwas über sich gelernt haben. Aber das ist nicht mein Bier -  entschuldige bitte, dass ich auf diesen Kalauer nicht verzichten konnte!

Zu meiner Entscheidung, es offiziell anzukündigen, trug auch eine kleine Begebenheit bei. Als ich abends in einer Runde künftiger Gäste saß, von der Festplanung erzählte und beiläufig sagte, es gäbe keinen Alkohol, war mancher überrascht. Ich setzte noch einen drauf, indem ich um vegane oder vegetarische Büffetbeiträge bat. Am Schluss war einer so verdutzt, dass er mir fast glaubte, als ich erwähnte, an Musik gäbe es nur katholische Kirchenmusik aus dem frühen 18. Jahrhundert. Den schrägen Musikfakt musste er noch einmal bei mir abfragen, um sicher zu gehen, dass ich das nicht ernst gemeint hatte. Kein Alkohol, kein Fleisch, da ist schließlich alles möglich!

Danke für diesen Realitätscheck! Jetzt wusste ich: das kommt in eine Gästemail. Das sollen alle vorher wissen und die Gelegenheit bekommen, vielleicht noch abzusagen. Wie hätte ich selbst als Alkoholikerin auf eine Einladung reagiert, in dem Wissen, da kann ich nicht trinken? Hätte ich mir heimlich eine Gelegenheit zum Trinken verschafft? Hätte ich vorher getrunken? Dafür gibt es in unserer Sprache sogar ein Wort: "vorglühen", das nichts anderes meint, als sich schon vor dem Ausgehabend mit Alkohol in gute Stimmung zu versetzen. Oder hätte ich Angst bekommen und lieber abgesagt? Selbstverständlich ohne mir, geschweige denn anderen einzugestehen, was in Wahrheit mein Problem war.

Ich bin seit über vier Jahren abstinent von Alkohol und Zigaretten. Ich fühle mich auf sicherem Boden, denn ich bin in dieser Zeit schon oft in Situationen gewesen, in denen andere tranken und ich nicht. Das stellt heute keine Gefahr mehr für mich dar. Es geht also nicht um die Sicherheit meiner Abstinenz.

Es geht darum, wie sich Menschen oft schon nach den ersten Schlucken Alkohol verändern: Sie kommen in bessere Stimmung. Es fällt ihnen leichter, auf andere zuzugehen. Sie haben mehr Spaß und seien die amüsanteren Gäste. Das meinte ich auch, als ich noch trank. Ich hätte diese angenehmen Veränderungen als die positive Seite des Trinkens dargestellt.

Als Nichttrinkerin, die ihren Mitmenschen beim Trinken zuschaut, nehme ich das völlig anders wahr. Bei manchen geht es sehr schnell, dass sie lauter reden, mehr reden, kaum noch zuhören, schriller lachen, einem näher rücken und alles mit einem kleinen Zuviel an Selbstsicherheit tun. Mit fortschreitendem Konsum steigert sich das, sie sprechen undeutlich, wiederholen ihr Gesagtes, auch gerne mehrfach, rücken noch näher, damit man sie besser versteht, denn es ist ja wichtig, was sie zu sagen haben, und man soll nichts davon verpassen. 

Diese überschießende Egozentrik hat der amerikanische Singer-Songwriter Rufus Wainwright in einem Zeitungsinterview im Februar 2022 beschrieben:

"Wenn man nicht trinkt, fällt einem erst so richtig auf, welche Rolle Alkohol gesellschaftlich spielt, Leute verabreden sich "auf ein Glas", man stößt auf Erfolge an, trinkt nach getaner Arbeit ein Belohnungsbier. Deshalb finde ich Alkohol beängstigender [als Kokain..]. So richtig bewusst wurde mir das alles, als ich ein Kind hatte."

"Als sie noch kleiner war, vielleicht vier oder fünf, wurde mir bewusst, was selbst wenige Gläser Wein ausmachen. Ich erinnere mich an diesen einen Abend in Montauk, wo wir ein Häuschen haben. Ein warmer Sommerabend, wir hatten den Tag am Strand verbracht. Gegen Abend trinkt man ein Glas Rosé, zum Essen dann noch eines, vielleicht zwei. Dann wollen wir zusammen einen Film schauen. Und plötzlich bricht mir der Boden unter den Füßen weg, und ich verliere jedes Maß."

Und dann schildert Wainwright einen Disput mit seiner Fünfjährigen über die Auswahl des Films, weil die kleine Tochter lieber etwas anderes sehen wollte, als der erwachsene Vater. Das führte bei ihm zu einem verletzten Ego und zum Gefühl von Ablehnung: 

"...fühle mich nicht nur von ihr, sondern von der ganzen Welt nicht richtig wertgeschätzt... es ist wirklich vollkommen lächerlich. Und ich war ja nicht mal richtig besoffen. Ich habe es nicht krachen lassen, das waren drei Gläser Rosé. Dieser Abend hat mir sehr zu denken gegeben..."

Ich kenne solches Verhalten zu gut von mir selbst, und ich hatte keine Lust darauf, es von anderen auszuhalten. Ich wollte das Leben selbst feiern, unsere Gesundheit, meine Abstinenz, dass wir uns gefunden und behalten haben, dass unsere überlebenden Kinder gesund sind, dass wir glücklich und dankbar sind und dass wir dieses Fest ausrichten können. Dazu wollte ich viele liebe Menschen um mich haben, gut essen, wundervolle Livemusik genießen, in viele kleine Gespräche verwickelt werden, mich freuen, tanzen und allen zusammen einen unvergesslich schönen und leichten Abend schenken.

 Ich darf sagen, das ist uns gelungen! Und ich bin sicher, das Fest ist nicht trotz des Alkoholverzichts unser Fest des Lebens geworden, sondern mit deswegen.

 

Ich danke Dir fürs Lesen und freue mich, wenn Du wiederkommst.

Alles Liebe und Gute

Juna
 
PS: Über AA sagte Rufus Wainwright: 

"Menschen kommen zusammen, wie in einer Kirche, und suchen Hilfe. Und man geht von der Existenz einer höheren Macht aus, die einem Stärke verleihen kann. Ob man daran glaubt oder nicht: Ich habe gesehen, dass es funktioniert. Das Gute ist, dass man sich immer dorthin wenden kann. Es gibt Filialen auf der ganzen Welt, und es kostet nichts. Es ist kein Kult, keine Sekte, ich will und muss niemanden überzeugen, ich will eigentlich nur sagen: Für mich funktioniert das Konzept."

 

Kommentare

  1. Danke liebe Juna, das ist wieder ein sehr interessanter und ansprechender Text, der sich als Überlegung vor einem Fest für alle, auch nicht Betroffene, eignet. Natürlich dürfen Gastgeber das Fest so gestalten, wie sie wollen und für gute Stimmung ist Alkohol oder Fleischgenuss keine Vorraussetzung (weltliche Musik zum Tanzen vermutlich schon😄). Ich habe noch nie ein Fest erlebt, bei dem kein Alkohol angeboten wurde. Für mich ist das kein Problem, ich weiß, dass es so ist und muss nicht zugreifen, da helfen natürlich viel trockene 24 Stunden und viele Meetings. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis wird mässig getrunken, die Stimmung ist locker und entspannt und emotionale Ausrutscher gab es schon lange nicht mehr. Das liegt sicher auch am Alter, die meisten müssen auf Medikamente achten und fahren mit dem Auto nach Hause. Aber auch die jungen Leute konsumieren eher vernünftig, darüber freue ich mich sehr. Natürlich habe ich auch schon auf Festen erlebt, wie Alkohol die Erregbarkeit steigert und das Gesprächsniveau beeinträchtigt, aber in letzter Zeit eher weniger. Manches wird mit zunehmendem Alter und langjähriger Trockenheit einfacher. Liebe Grüße B.

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  2. vielen lieben Dank für Deine Gedanken und Erfahrungen, sehr spannend, wie sich das in Deinem Leben entwickelt hat und leichter geworden ist und wie schön, dass weniger und vernünftiger getrunken wird, auch von jungen Menschen. Und Du willst also auch nicht so gerne zu katholischer Kirchenmusik tanzen oder wie soll ich das verstehen? 🤣

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  3. Liebe Juna, es freut mich dass euer Fest so schön war, vor allem und vielleicht gerade eben, weil Alkohol fehlte. Bei uns in der Familie gibt es mittlerweile auch keinen Alkohol auf dem Tisch, dafür genießt jeder das Essen und Erfrischungsgetränke. Danach gibt es Kaffee und Kuchen bzw. Eis meistens jedoch beides. Anschließend werden Gemeinschaftsspiele gespielt. So feiern wir und alle gehen glücklich, zufrieden, nüchtern nach Hause und wir erinnern uns an das Fest und wünschen uns ein baldiges Treffen mit Gesundheit 🍀.
    Gute 24 h 🤗 D.

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    1. Danke, dass Du Deine Erfahrungen mit uns teilst, toll wie Ihr das als Familie macht, und ich finde, es ist ein gutes Vorbild für die Kinder, wenn sie lernen, man kann auch ohne Alkohol feiern und Spaß haben.

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  4. Danke dir meine Liebe, und diese Erfahrung macht die Runde und einigen Zögerlichen Mut🙏
    Mechthild

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  5. Liebe Juna,
    das Lesen deines Textes hat mir wieder einmal ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ich hoffe, du machst auch zukünftig keinen Bogen um passende Kalauer!
    Ich finde es sehr mutig von euch, ein so großes Fest ohne Alkohol zu organisieren. Die Entscheidung es vorher anzukündigen, hätte ich auch so getroffen.
    Der Name Rufus Wainwright war mir bisher unbekannt, doch habe ich Lust bekommen mir mal anzuschauen, was es noch von ihm zu lesen gibt. Vielen Dank auch für diese Inspiration.
    Ich schicke dir liebe Grüße
    hage-dorni

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    1. Vielen Dank, liebe hage-dorni, freut mich, dass ich Dich zum Lächeln gebracht habe. Was unseren Gästen sehr gefallen hat, war eine tolle Auswahl an abgefahrenen Limonaden, zum Beispiel die Sorte Basilikum, und nicht weniger als sieben alkoholfreie Biere zur Auswahl. Eine Freundin kam auf mich zu und bedankte sich für die neue und gute Erfahrung, ein Fest ohne Alkohol gefeiert zu haben. Ich antwortete ihr, bestimmt sei sie am nächsten Morgen noch viel glücklicher, wenn sie fit und erfrischt aufwachte.

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