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Kranksein - mein Schönstes als Kind

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Wenn ich ausreichend krank war, um zuhause bleiben zu dürfen, aber nicht so krank, dass ich gelitten habe. Das war mein Kinderparadies: Keine Schule, mich gemütlich einkuscheln, fast unbegrenzt lesen dürfen und als Krönung mit Zuwendung und feinen Krankenspeisen versorgt werden. Das war immer ein kleines Glas (Orangen waren teuer!) frisch gepresster Saft wegen der Vitamine, ein Grießbrei, weil der besser rutscht, manchmal auch Eis, weil das den Hals kühlt und eine selbstgemachte Fleischbrühe mit Nudeln, weil das kranke Kind Kraft braucht. Der Eingang ins Paradies war eine gründliche Prüfung durch zwei kritische Instanzen. Zuerst befragte mich meine Mutter. Ausgestattet mit einem bewährten Grundvorrat an Misstrauen, wollte sie ausschließen, dass keine anderen Gründe für die Beschwerden vorlagen wie Müdigkeit oder gar Schulunlust. Mit diesem vorläufigen Ergebnis wurde die zweite Instanz hinzugeholt. Ihr oblag das letzte Wort über die Frage, ob das Kind zuhause bleiben und gepflegt werden

Der 7. Schritt - wer repariert mich denn jetzt?

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Da ich kein Pannenfahrzeug im Vereinigten Königreich bin, kann ich nicht in einer Wartezone am Straßenrand liegen bleiben und gemütlich auf ein Mechanikerteam warten. Schade eigentlich!   Meine eigenen Pannen und deren Ursachen habe ich in den Schritten 4 und 5 gründlich erforscht, habe Lösungsansätze aufgeschrieben und das alles ehrlich und rückhaltlos mit meiner Sponsorin geteilt.  Im 6. Schritt habe ich meine Bereitschaft für einen tiefgreifenden Wandel gespürt und ausgesprochen. Mir ist klar geworden, dass meine Unzulänglichkeiten nicht einfach verschwinden, nur weil ich bereit bin, sie loszulassen. Und was heißt das überhaupt, das vielzitierte Loslassen? Ich fürchte, das habe ich nie verstanden. Mir ist es jedenfalls nicht gelungen, mich von unerwünschten Gefühlen, verdrehtem Denken und schädlichen Verhaltensweisen zu befreien. Wenn ich das könnte, hätte ich meine Essstörung schon längst beseitigt.   Im 7. Schritt bitten wir demütig darum, dass Gott unsere Unzulänglichkeiten vo

Leichtigkeit, Freude und Hoffnung - am Tag nach meinem 5. Schritt

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Mich einem Scan zu unterziehen, in dem es um meine Gefühle geht, möglichst ehrlich, das war die Aufgabe. Meinen Ärger aufzuspüren und meine Ängste, Enttäuschungen, Scham, Verzweiflung, Verwirrung, mein Selbstmitleid und auch, wo ich Schaden angerichtet habe, jemandem ein Leid zufügte. Ich schreibe auf, was ich finde und was mein Anteil daran ist. Und dann suche ich Lösungen. Das nennt man in Zwölfschritteprogrammen den Vierten Schritt. Wenn ich fertig bin, lese ich alles einer Vertrauensperson vor und gebe ihr Raum, sich dazu zu äußern. Dieser Vorgang ist der Fünfte Schritt. Diesen Schritt haben meine Sponsorin und ich gestern gemeinsam unternommen, und es hat vier Stunden gedauert, eine anstrengende und bewegende Zeit für uns beide. Arbeit war das, und sie machte uns beide hungrig und müde. Die fünfte Stunde verbrachte ich mit einem Spaziergang an diesem schönen Ort hier, wo es grün ist und riesige, alte Bäume Schatten und Ruhe spenden. Das Gehen brachte mein Denken in einen guten Flu

5. Schritt - Ich mache eine Reise

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Keine touristische, keine, um Verwandte zu besuchen und auch keine berufliche, sondern eine, die im besten Fall eine spirituelle Reise werden könnte. Ich reise zu meiner Sponsorin, um mit ihr den 5. Schritt zu arbeiten. Bei meinem ersten 5. Schritt habe ich meine damalige Sponsorin zu mir nach Hause eingeladen. Ein paar Stunden Zugfahrt, dann war sie da, und wir gingen den großen Schritt gemeinsam. Dieses Mal ist es umgekehrt, und ich fahre hin. Um genau zu sein, ich fliege hin. In die USA, denn dort wohnt sie. Und mein Gedankenkarussell dreht fast durch. Viele meiner Auslöser werden auf einmal gedrückt durch dieses Projekt: Darf man das? Ich will nicht auffallen und schon gar nicht durch Extravaganz. Darf ich das? Nur für mich allein so viel Geld ausgeben? Ist das ein Egotrip? Schaffe ich das ? Alles auf Englisch, dazu noch zwei Inlandsflüge und eine lange Busfahrt, was wenn mein Koffer verloren geht oder ein Anschluss nicht klappt und ich im Nirgendwo strande? Wie wird das? Ich habe

Wie geht Verzeihen? Teil 4: Meine Feindin steht noch auf der Liste

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Mehr zu arbeiten, half nicht. Noch mehr zu arbeiten, half nicht. Mir Arbeiten aufdrücken zu lassen, half nicht. Nett zu sein, half nicht. Die von allen gehassten Aufgaben freiwillig zu übernehmen, half nicht. Als Letzte zu gehen, half nicht. Kuchen mitzubringen, half nicht. Sitzungsthemen gründlich vorzubereiten, half nicht. Teure Schokolade mitzubringen, half nicht. Noch netter zu sein, half nicht. Das Team zu mir nach Hause einzuladen, half nicht. Jedem die Sitzungsunterlagen auszudrucken und hinzulegen, half nicht. Selbstgebackenen Kuchen mitzubringen, half nicht. Klein beizugeben, half nicht. Schleimen half nicht. Nicht aufzumucken, half nicht. Die Revolte zu wagen, half nicht, hatte aber zur Folge, dass ich von nun an mit offener Feindseligkeit behandelt wurde, bis ich geschlagen und gedemütigt das Feld räumte. Diese hübsche Liste der Verzweiflung zählt Strategien auf, die ich über Jahre anwandte, mit den Zielen, anerkanntes und geschätztes Mitglied in meinem Kollegenkreis zu werd

Meine Zusatzmütter - ich bin dankbar, dass sie Teil meiner Reise waren!

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Neulich habe ich hier eine Kerze für Annemarie angezündet, aber es gab noch mehr Zusatzmütter in meinem Leben und heute danke ich ihnen: Gerda, Eva und Heide. Sie haben mir geholfen, als ich bedürftig war. Ich brauchte Zuwendung, Geborgenheit und Verständnis, aber auch Geld, Unterschlupf und Essen. Meine Mutter hat mich geliebt und getan, was sie konnte. Doch gab es Zeiten in meinem Leben, da war es gut, dass noch andere Schultern mittrugen. Gerda war die Mutter eines meiner engsten Freunde als Jugendliche. Sie hatte Zeit für mich und hörte mir zu. Eine gebildete Frau, die begeistert las und mit der ich mich über jedes Thema unterhalten konnte. Sie glaubte an mein Talent und ermunterte mich, es zu pflegen. Ich habe sie verehrt und in einem  schüchternen Brief umständlich darum gebeten, sie duzen zu dürfen. Als wir Jahrzehnte später unsere Freundschaft wieder aufnahmen, zeigte sie ihn mir. Über drei Umzüge hinweg hatte sie ihn aufbewahrt. Später zog sie in unsere Nähe, und in ihren letz