Kaffeekränzchen auf Zoom - wir feiern meinen dritten Nüchternheitsgeburtstag

 

Neulich an einem Sonntagnachmittag habe ich drei Freundinnen zu einem Damenkränzchen der besonderen Art eingeladen: Ich wollte mit ihnen feiern, dass ich seit drei Jahren ohne Alkohol lebe. Es sind drei wunderbare Frauen aus meiner Selbsthilfegruppe, ebenfalls nüchtern lebend, nur leider mit einem klitzekleinen, geographischen Nachteil behaftet: Sie wohnen in entfernten Winkeln der Republik verstreut und können nicht persönlich auf Kaffee und Kuchen bei mir vorbeikommen. Das macht aber nichts, Zoom ist ja schon erfunden und als fleißige Meetingsbesucherinnen und erfahrene Hostfrauen sind wir mit dem Medium vertraut. Neu ist für uns nur der Einsatz der Technik zum Feiern. Drei Freundinnen und mich dazu macht vier: Vier gut sichtbare, schön große Kacheln auf dem Bildschirm, das sollte passen und zwei Stunden Zeit für uns vier, da sollte genug Raum für unseren Austausch sein.

Zur Vorbereitung hatte ich meinen drei Damen eine schöne Einladung und einen Kuchen im Glas geschickt, sodass wir gemeinsam, jede vor ihrem Bildschirm Kaffee und Kuchen genießen, uns dabei sehen und doch irgendwie zusammen sind. Eine von ihnen hat mir das Foto oben geschickt mit den Worten dazu, sie sei jetzt bereit, und wie man sehen kann: Sie hat sich ein Häubchen Sahne geschlagen und einen netten Kaffeetisch vor ihrem Computer gedeckt.

Dritter Geburtstag, da dachte ich an Kindergeburtstage und Spiele und habe für ein kleines Programm gesorgt. Es gab ein bisschen Tanzmusik, ein Glücksrad zum Bestimmen wer dran ist und einen Fragenkatalog, den wir zuerst nach Glücksradermittlung aber später reihum beantworteten. Die Fragen machten so viel Spaß und wir waren ganz neugierig, von jeder einzelnen Freundin die Antworten zu hören. Und so saßen wir da, tranken Kaffee, jede verspeiste ihren Kuchen (Rhabarber-Crumble oder Apfelcrumble oder Birne-Walnuss) und wir erfuhren viele interessante Details, die wir noch nicht voneinander wussten. Ich bin mit jeder von ihnen befreundet, aber untereinander kannten sie sich nur aus den Meetings.

Wir hatten zwei kurzweilige Stunden, und es gab viel Gelächter bei Fragen wofür wir als Kinder unser Taschengeld ausgaben oder welche Musik wir hören, wenn wir kochen, putzen, Kummer haben oder bester Laune sind. Wir erfuhren die Lieblingssorte Gummibärchen, wer sie nicht ausstehen kann und wer am liebsten Nüsse mümmelt.

Ich bekam sogar ein Geburtstagsständchen, und es war nicht "Happy Birthday" sondern ein schönes Lied auf Deutsch, das ich nicht kannte.

Zwischendurch legten wir eine Runde Grimassenschneiden ein: Eine gab einen Emoji vor und wir mussten ihn möglichst genau nachmachen, das war lustig und total albern.

Wir hörten wie die Freundinnen sich ihren perfekten Tag vorstellen, welche Routinen ihnen Kraft geben und was sie tun, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden, wenn sie mal aus ihrer Mitte geraten sind. 

Wir waren überrascht davon, wie weit gereist manche schon war und erfuhren, welche Traumziele noch auf der Wunschliste stehen. 

Wir sprachen über Neues, das wir kürzlich gelernt haben und dachten darüber nach, wann wir zum letzten Mal eine Meinung komplett geändert haben. Die Fragen zu beantworten, worin wir gut sind oder was wir an uns mögen, fiel uns schwer. Da konnten wir nicht so richtig aus unserer Haut: Selbstliebe und gesunder Stolz, daran arbeiten wir noch.

Die letzte Frage auf der Liste war: Was tust du dir heute noch Gutes? Die Frage mag ich sehr, sie regt uns an, daran zu denken, dass wir etwas Gutes brauchen und verdienen, und wir lernen immer besser, dafür zu sorgen, dass wir es auch bekommen. Statt zu trinken, finden wir heute andere Möglichkeiten, uns zu entspannen oder zu belohnen. 

Eine von uns erinnerte sich an eine liebe, alte Tradition: War sie zu Besuch bei ihrer Großmutter, erstellte diese als erstes einen Plan mit lauter Speisen, die sich das Enkelkind wünschte. Sie ist zur Zeit bei Freunden und wollte nun mit ihnen so einen Wunschessenplan aufschreiben.

Eine andere, sehr erkältet, hatte im Nachthemd vor dem Bildschirm gesessen und sich uns gezeigt, obwohl sie direkt aus dem Bett kam. Sie beschloss, ein warmes Bad sei genau das richtige.

Ich hatte keine Idee, ich hatte durch diese wunderschöne, lustige, anregende und verbundene Zoomparty schon so viel Gutes bekommen an diesem Tag. 

Meine lieben Gäste waren sehr begeistert und tragen die Idee auf ihre Art weiter. Wer weiß, vielleicht bekomme ich auch mal eine Einladung, auf Zoom eine Party zu feiern oder noch ein Damenkränzchen, ein Indoor-Picknick, eine literarische Lesung, eine Modenschau, egal was, ich bin dabei!

Ich danke Dir fürs Lesen und freue mich, wenn Du wiederkommst.

Alles Liebe und Gute

Juna

PS: "Leichtigkeit und Lebensfreude, auch das ist Genesung", befand eine meiner Kaffeekränzchenteilnehmerinnen. Stimmt genau, finde ich.

 

Kommentare

  1. Ein Strahlen überzieht mein Gesicht, wenn ich diesen Beitrag lese, liebe Juna. Da kommt so viel Freude rüber. Und ich werde mich sofort daran machen, dass ich mal ein paar Grimassen nach Emojis übe :-)
    Ein paar habe ich schon drauf! Wenn es erlaubt ist, werde ich die Idee für meine nächsten Online-Meetings mal wiederverwenden.

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